oder der Schnee von gestern
Während ich diese Zeilen schreibe, hat die Hansestadt längst wieder ihr Lieblingskleid das monochrome Grau angelegt und peitscht den Nieselregen in die trüben Montagsgesichter der leidgeplagten Hamburger. Die „Perle“ an der Elbe zeigt sich mal wieder von ihrer besten Seite mit jeder Menge „Igittigitt“ und ganz viel „Bäh“. Ich finde ja, wer Hamburg ernsthaft für die schönste Stadt der Welt hält, hat noch nicht viel gesehen von der selbigen. Aber gestern, war er dann doch da – kurz, intensiv und in seiner schönsten Form, der hanseatische Winter.
Zunächst beginnt aber auch der Sonntag nicht gerade vielversprechend. Nach einer kurzen Nacht, klingelt der Wecker mal wieder viel zu früh und während die Familie gemütlich zum Frühstück schlurft, versuche ich in die orthopädischen Stützstümpfe zu kommen, die sich dank modernisiertem Image und topaktueller Farbgebung nun zwar „compression socks“ nennen dürfen, das gemeine Männerbein dadurch aber noch lange nicht eleganter erscheinen lassen. Puh, geschafft. Die erste Herausvorderung des Tages ist gemeistert und nun gehts zum treuen Gefährt, welches mich vor Aufgabe Nummer Zwei stellt: Eiskratzen.
Über die aktuelle, „geschmackvolle“ Dekoration des öffentlichen Raumes in Hamburg habe ich mich im letzten Beitrag ja bereits ausgiebig ausgelassen und diesmal geht’s zum Glück hinter dem Flughafen gleich rechts und schon bin ich im „schönen“ Steilshoop. Während die Autoreifen die Schneedecke auf dem Parkplatz der Berufsschule entjungfern, geht hinter der Hochhaussiedlung langsam die Sonne auf und ich frage mich, zu welch unmenschlicher Zeit die Helferlein von der Laufgesellschaft und dem BSV wohl hier sein mussten, um Startbogen und Zelte aufzustellen, vor dem Sportplatz Schnee zu räumen, Tee zu kochen und die Strecke mit Kleintierstreu und Kilometerschildern zu präparieren. Respekt!
Generell muss ich für „BMS Die Laufgesellschaft„ unbedingt mal eine Lobhudelei anstimmen. Die freundliche Bande um die Herren Schölermann, Matzen und Barkowski macht einen großartigen Job in Hamburg. Nicht nur die Großevents, wie der Alsterlauf und der hella Halbmarathon werden seit Jahren perfekt von ihnen organisiert und zu Aushängeschildern der Volksläufe in Hamburg etabliert, nein auch die vielen kleinen liebevollen Veranstaltungen, derer sie sich in den letzten Jahren angenommen haben, haben alle ihren besonderen Reiz und sind professionell umgesetzt. Das haben auch die anderen Mitglieder der German Road Races (GRR) erkannt und BMS erst kürzlich als Veranstalter des Jahres ausgezeichnet.
Auch die Bramfelder Winterlaufserie sähe ohne BMS wohl anders aus und man könnte heute sicherlich keine vierstelligen Startnummern an der Sportanlage am Erich-Ziegel-Ring erblicken. Laut Ergebnisliste waren 830 Läufer auf der Strecke am Bramfelder See. Deutlich weniger als beim ersten (1022) und etwas weniger als beim zweiten Lauf der Serie (836), aber die konnten in diesem Jahr auch locker noch als Spätsommer- oder Herbstläufe durchgehen. Nicht zu vergleichen mit dem dritten Lauf der letztjährigen Serie, bei dem sich nur die absolut Furchtlosen bei -12°C auf die Strecke wagten oder der fünfte Lauf der vorletzten Serie, den man auch gut mit Schlittschuhen hätte laufen können und der deshalb gar nicht erst in die Wertung genommen wurde. Die Bedingungen dieser Serie sind also von extrem unterschiedlichen Witterungsverhältnissen geprägt. Heute aber herrscht allerbestes Winterlaufwetter: 0°C, Neuschnee und strahlender Sonnenschein.
Die höchste Startnummer, die ich an diesem Morgen erblicke ist die „1538“ ich selbst trage die „2“ und ernte erstaunte bis ehrfürchtige Blicke im Treppenhaus wo sich schlotternde Funktionsfaser an heißem Tee festklammert. Glücklicher Vornamensträger, heißer Top-Favorit oder doch nur überambitionierter Frühmelder? Ich überlasse das mal der Interpretation des geneigten Lesers und begebe mich raus ins Stadion, wo die Ersten ein paar Runden drehen und sich warmlaufen. Statt mich anzuschließen, dokumentiere ich das Geschehen lieber fotografisch und folge weiter dem Prinzip „Zum Einlaufen gibt’s doch Runde Eins!“. Zwei Lauffreunde aus einer entlegenen Provinz südlich der Elbe trudeln ein, wir besprechen kurz die Ziele für den heutigen Tag und verständigen uns dann auf das Minimalziel „lebend ankommen“.
Einer davon, nennen wir ihn Pepi*, wird mich über alle vier Runden begleiten und mit mir über das Leben, das Laufen und den ganzen Rest sinnieren. Wir wollen lediglich ein paar Kilometer für die kommenden Herausforderungen sammeln und die wunderbare Winterlandschaft am Bramfelder See genießen. So zuckeln wir gemütlich im hinteren Teil des Feldes los und versuchen erst gar nicht auf der vollen Strecke zu überholen, wohlwissend, dass es sich eh Runde für Runde lichten wird, das Läuferfeld. Bei der Bramfelder Winterlaufserie kann Mann oder Frau nämlich nach jeweils fünf Kilometern entscheiden, ob weitergelaufen wird oder man die Rechtsabbiegerspur ins Ziel nimmt. Einige steigen bereits nach Runde Eins aus, was bei mir immer wieder eine Aufwand-Nutzen-Kalkulation auslöst aber dankenswerterweise die ersten Freiräume auf der Strecke schafft. Das Feld wird zwar von Runde zu Runde luftiger, die Strecke aber gleichzeitig auch glatter und glatter. Von Laufschuhen komprimierter Schnee ist nur ein bedingt guter Untergrund und so holt es hier und dort den Einen oder die Andere von den Beinen. Zum Glück scheinbar ohne größere Blessuren ausser dem immensen Schaden an der geplanten Zielzeit.
Runde Drei startet mit isotonischem Heißgetränk To Go und einem abermals deutlich reduzierten Läuferfeld. Es ist die Zeit der „Harten Hunde“, wie dem scheinbar omnipräsenten Barfußläufer oder den Läufern der Spitzengruppe, welche in dieser Runde an uns vorbeirauschen. Es ist aber auch die Zeit, um kurz auszutreten, Fotos zu schießen und den Spaziergängern auszuweichen, die sich langsam den Bramfelder See zurückerobern. Es ist aber vor allem die Zeit, in der man sich fragt, ob man wirklich Runde Vier laufen möchte. Ich habe ja das untrügliche Gefühl, dass es völlig egal ist, wie lang die Gesamtdistanz eines Wettkampfes ist, das letzte Viertel bleibt immer das anstrengendste. Linke Spur, rechte Spur, welche wähle ich bloß auf dem Sportplatz? Beim Blick zum Nachbarn ist sofort klar, WIR laufen weiter! So geht es in Runde Vier, die Runde der Genussläufer. Der Schnee beginnt zu tauen, die Schuhsohlen greifen wieder, die Spaziergänger machen Platz und Läufer sind eh kaum noch welche da, also steigern wir das Tempo leicht und das Gespräch wird einsilbiger. „Wir bleiben locker unter zwei Stunden“ schallt es mir entgegen und die junge Dame neben uns muss schmunzeln, als ich „nun bau’ mal keinen Druck auf“ erwidere und dann doch beschleunige. Wir wollten ja eigentlich entspannt Kilometer sammeln, aber wenn Jungs laufen, gesellt sich irgendwann halt doch der Ehrgeiz hinzu.
Geschafft, Runde Vier ist vollendet, der dritte von fünf Läufen der Winterserie 2014/15 ist vorbei und damit ist für mich leider auch schon mit der kompletten Laufserie Schluß. Ich habe das Luxusproblem, dass die letzten beiden Termine der Serie mit den Marathons in Sevilla und Barcelona kollidieren und muss mal wieder mit völligem Unverständnis feststellen, dass die Laufgesellschaft ihre Termine nicht mit meiner Laufplanung abgleicht. Apropos Termine, davon liegen gleich eine ganze Menge in Papierform im Ziel aus. Gemeldet – gemeldet – keine Zeit – gemeldet – Mist, schon einen anderen gebucht – gemeldet – warum ist der bloß immer parallel zum Berlin Marathon? – gemeldet – gehe ich die Flyer durch und entdecke zwei darunter, die ich nun wirklich nicht bei einem Winterlauf in Hamburg Steilshoop erwartet hätte. Potsdamer Drittelmarathon und Potsdamer Schlösserlauf. Besonders letzteren möchte ich dem geneigten Leser sehr ans Herz legen. Eine tolle Sightseeingstrecke an den Havelseen, über die geschichtsträchtige Glienicker Brücke, durch Potsdams Innenstadt, das holländische Viertel und den Park Sanssouci. Meine Empfehlung: Unbedingt mitlaufen!
Für mich ist es an der Zeit, ins traute Heim zurückzukehren, wo mich schneegerötete Wangen und der Duft nach frischem Backwerk erwarten. Schnell die fröstelnden Kinder in die Wanne, dann das verdiente Carboloading der süßen Art, noch schnell gemeinsam Maus und Elefant zusammenpuzzeln und dann setzt auch schon der Regen ein und macht diesen herrlichen Wintertag zum Schnee von gestern …
*(Die Namen wurden geändert, um unschuldige Mitläufer zu schützen.)
Da ich am nächsten Wochende wider Erwarten keinen Wettkampf habe (was mach’ ich bloß?!?), wird das Thema wohl lauten:
Walkürenritt – Richard Wagner, die Treppen & der lange Lauf
In Anlehnung an die Aktion „Nimm die Treppe“ von Sandra Mastropietro, seit heute leider Neu-Ex-Bloggerin
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Hi Andreas, du hast eine schöne aufmunternde Schreibweise.
Deinen Blog habe ich in meinen Blogroll integriert so finde ich dich auch ganz schnell.
An diesem Run hier habe ich heute noch meine „Freude“, mein Knieaua vom Sturz bei km 13,8 wechselt täglich seine Farbe 😉 Aber ’ne Indianerin kennt keinen Schmerz.
See you, spätestens in 84 Days…
Hallo Birki,
es freut mich sehr, dass dir mein Geschreibsel gefällt. Ich bin ja noch Blognovize und experimentiere noch an Form und Inhalt. Um so schöner, dass du mich bereits in deine Blogroll integriert hast. Da werde ich mich doch gleich mal die Tage zum Gegenbesuch aufmachen und dich in meine Empfehlungen integrieren. Beim Hamburg Marathon könnte man sich ja in der Tat mal treffen, auf der Messe zum Beispiel. Bis dahin gute Besserung für das Regenbogen-Knie! SeeYa! 😉
Na, dann grüß‘ ich mal aus Bayern (= Lüneburg). Ich war fast versucht, spontan nach Bramfeld zu fahren, hab’s aber unter anderem wegen des Schnees gelassen. Denn in dieser Beziehung ist Nordost-Niedersachsen leider total unbayerisch. Bei mehr als drei Flocken pro Stunde wird hier die Schneekatastrophe ausgerufen und auch entsprechend gefahren. Als ich von meiner langen Ersatzrunde nach Hause kam, war zumindest hier fast alles schon wieder grün.
Hallo Namensvetter,
da unten in Bayern (=Lüneburg) bin ich im letzten Jahr den Firmenlauf auf dem ADAC Parcours gelaufen. Ein schöner und erstaunlich gut besuchter Lauf da in der Provinz Süderelbien. Könnte sein, dass ich auch dieses Jahr wieder für die isotonische Brause (aus dem „echten“ Bayern) starte. Wie bereits beim „Lümmel“ erwähnt – man sieht sich! 😀
Hallo Andreas,
netter Bericht mit den schönen Bildern, man(n) sieht sich bald wieder in den Wäldern im Süden Hamburgs,
oder ist es schon der Norden Niedersachsen?
Gruß Pepi* 😉
Hey Pepi*, alles südlich der Elbe ist Bayern!
Also sehen wir uns im Bayerischen Wald … 😉
Ick freu‘ mir, wa!
Andreas
Hi Andreas,
der Beitrag ist wirklich super „mit Schmunzeleffekt“ geschrieben.
Ich selbst bin das erste Mal bei der Winterlaufserie dabei und empfinde die Serie als sehr angenehm. Klasse Orga vom Veranstalter, faire Preise und entspannte Teilnehmer. Eben eine super Möglichkeit, über den Winter etwas FIT zu bleiben.
Die Termine 2015 fallen teilweise wirklich etwas ungünstig. Hätte 2015 gern mal einen Triathlon ausprobiert, leider passt das alles nicht so wirklich. Auch der 07.06. ist einer dieser Termine, wo etliche Veranstaltungen stattfinden. Da ich in der Nähe von Potsdam aufgewachsen bin, war für mich der „Potsdamer Schlösserlauf“ natürlich auch Pflicht. Eventuell kann ich den Ratzeburger Insel Triathlon doch noch einbauen 😉
Weiterhin viel Spaß, freue mich auf neue Beiträge.
Gruß
Hallo Mathias,
schön, dass dir der Text gefällt. Die Winterlaufserie ist in der Tat ein großartiger Weg, um über den Winter zu kommen.
Die Erfahrung hat mich gelehrt, niemals „nie“ zu sagen, aber Triathlon ist zumindest aktuell nichts für mich, dafür widerstrebt mir das Schwimmtraining dann doch zu sehr. Aber hätte mich vor einigen Jahren jemand nach einem Marathon gefragt oder gesagt, dass Ultra evtl. doch ein Thema werden könnte, dann hätte ich wohl auch „niemals“ geantwortet.
Potsdam ist in der Tat Pflichtprogramm und ich bin hoffentlich die nächsten Jahre auch mal wieder am Start.
Dir viel Spaß in Ratzeburg, sofern es in die Planung passt!
Grüße. Andreas