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Chocolate y Churros beim Shoppingmarathon


Was dabei herauskommt, wenn einer der charismatischsten Rocksänger aller Zeiten gemeinsam mit einer gefeierten katalanischen Operndiva eine Hymne auf eine der schönsten Städte Europas einspielt, haben uns Freddy Mercury und Montserrat Caballé im Jahre 1987 eindrucksvoll vorgeführt. Eine klebrige, vor lauter Pathos triefende Rockoper namens „Barcelona“, die an Kitsch kaum zu überbieten ist. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen treibt mir der Song einen wohligen Schauer über den Rücken und die Tränen in die Augen, als ich im Konfettiregen über die Startline am Plaça d’Espanya laufe und zum Sightseeing durch die wunderschöne und abwechslungsreiche Metropole aufbreche. Gut 42, wie immer viel zu lange, Kilometer, bei strahlendem Sonnenschein und recht kühlen, zum Laufen aber optimalen 10–15 Grad. „Läuft bei dir“, denke ich auf der ersten Hälfte der Sightseeingrunde, bevor ich pünklich kurz vor Kilometer 30 einbreche und mich vor meinem geistigen Auge schon nach weit über fünf Stunden ins Ziel taumeln sehe. „Sollte wirklich so unglamourös enden, was mit viel Pathos gestartet wurde?“ frage ich mich, als plötzlich Mary auftaucht.

Schon Tage vor Abflug, checke ich immer wieder unzählige Wetterportale, in der Hoffnung, dass eventuell eines von ihnen eine bessere Prognose parat hat, als die regnerischen 13 Grad, die mir alle einstimmig für das Wochenende vorhersagen. Also für das Wetter muss man nun wirklich nicht nach Barcelona fliegen, das kann man in Hamburg fast das ganze Jahr umsonst haben. Viermal waren wir bereits in der Schönheit am Mittelmeer, dreimal davon zum Mitja Marató, dem Halbmarathon im Februar und jedesmal hatten wir Sonne satt und frühlingshafte 20 Grad. Sollte uns ausgerechnet diesmal, da wir einen Monat später anreisen, das Glück verlassen? Hm tja, dann lungern wir halt in den charmanten Bars und Cafés im „Barceloneta“ oder „El Born“ rum und shoppen kann die Göttergattin im „Barri Gòtic“ auch uneingeschränkt bei jedem Wetter.

Mit dem eisernen Willen, uns das Wochenende nicht vom Wetter versauen zu lassen, brechen wir am Freitag Mittag in Richtung Süden auf, um einige Stunden später wieder mal die universelle Lebensweisheit „erstens kommt es anders und zweitens als man denkt“* präsentiert zu bekommen. Als wir das Flughafengebäude in Barcelona verlassen, hält der Aerobus direkt vor unseren Füßen, um uns für 5,90 Euro pro Person in Windeseile in die Innenstadt zu bringen. Der im Zehn-Minuten-Takt fahrende Aerobus ist eindeutig der bessere Transfer, gegenüber der Schnellbahn „renfe“, die zwar ebenfalls am Terminal Zwei startet aber erheblich länger braucht, um von El Prat nach Barcelona zu gelangen, weniger Ausstiegsmöglichkeiten hat und dazu nur zweimal in der Stunde fährt.

Am Plaça d’Espanya der ersten Haltestelle des Aerobus wird bereits der Start-Ziel-Bereich für den Marathon aufgebaut und in den Hallen rechts davon ist die „Expo Sports“ bereits in vollem Gange. Barcelona ist im Gegensatz zu Sevilla ein Marathon der ganz kurzen Wege, wenn man mal vom gut 42 Kilometer langen „Weg“ am Sonntag absieht. Startblöcke, Zielbereich, Laufmesse, Starunterlagenausgabe, Umkleide, Beutelablage, alles findet sich im Umkreis von 500 Metern rund um die Avinguda Reina Maria Cristina.


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Da unser Appartment auch nur einen Steinwurf entfernt liegt, endet unsere Reise mit dem Aerobus bereits am nächsten Halt in Sant Antoni, einem von Touristen noch weitgehend unentdeckten Stadtteil, der sich aber zunehmend vom ruhigen Wohnviertel zum belebten Ausgehviertel zwischen El Raval und Poble Sec entwickelt. Spätestens wenn die prächtige Markthalle Mercat de Sant Antoni komplett restauriert ist, wird auch dies eine der unzähligen reizvollen Ecken in der katalonischen Hauptstadt und unser Appartment vis-a-vis der Hallen ist dann mit Sicherheit unbezahlbar. Aktuell ist die Markthalle aber noch eine, zum Glück am Wochenende ruhende, Baustelle und die großzügige Unterkunft ein echtes Schnäppchen.

Da sich der Himmel über Barcelona nach dem Check-In im selben Mausgrau zeigt, wie bei unserem Start in der Hansestadt, entscheiden wir uns, das lästige Pflichtprogramm der Marathonmesse umgehend zu erledigen. Zehn Minuten über die quer durch das Viertel verlaufende Avinguda de Mistral geschlendert und schon stehen wir vor den überdimensionalen Ballons des Hauptsponsors, die, wie bei Versicherungskonzernen üblich, mit reichlich heißer Luft gefüllt sind und uns den Weg zur Startnummernausgabe weisen. Der Freitagnachmittag scheint ein guter Zeitpunkt, um eine der knapp 20.000 Startnummern abzuholen, denn das Ganze ist in gut zwei Minuten erledigt … naja fast … denn die eigene Kurzsichtigkeit führt dazu, das ich zwar umgehend Startnummer und Shirt in Händen halte aber partout nicht den Beutel finde, in dem meine Habseligkeiten am Sonntag zwischengelagert werden sollen.

Hin und her gerannt, hier gefragt, dort gefragt, kryptische Antworten in gebrochenem Englisch erhalten, um letztlich am eigentlich unübersehbaren Stand direkt neben der Shirt-Ausgabe fündig zu werden. Augen auf beim Messelauf! Danach gilt es erfolgreich die raffinierten Verführungen der Sportartikelhersteller zu umschiffen, das komplette Infomaterial der Laufveranstalter aus aller Welt abzugreifen und abermals erfolglos an der Verlosung eines Startplatzes für den Málaga Marathon teilzunehmen bevor es aus den Messehallen hinaus in die … Achtung … Sonne geht! Am Plaça de les Cascades vor dem Nationalpalast lichten sich doch tatsächlich die Wolken und erste Sonnenstrahlen laden zu einem Snack in der kühlen Nachmittagsluft unterhalb der rauschenden Kaskaden.


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Das touristische Pflichtprogramm haben wir bereits sukzessive auf den vorherigen Barcelona-Trips erledigt und dabei die komplette „Gaudí“ aus Sagrada Família, Parc Güell und Casa Mila genauso begutachtet, wie das verwinkelte Barri Gòtic oder das charmante Hafenviertel Barceloneta. Mehrfach sind wir den weiten Stadtstrand am Mittelmeer entlang geschlendert und haben auf dem Montjuïc den beeindruckenden Blick über die Stadt genossen. Arc de Triumph, Torre Agbar, Port Olímpic, Parc de la Ciutadella, Passeig de Gràcia, Mercado de La Boqueria, selbst durchs Poble Nou sind wir geschlendert und die Trainingsläufe zu den Halbmarathons haben mich bis an die Stadtgrenzen zu Badalona und L’Hospitalet de Llobregat geführt. Einzig die unsägliche Rambla haben wir immer gemieden wie der Teufel das Weihwasser … aus Gründen! Trotz der wiederholten Besuche würde ich aber immer noch behaupten, dass wir gerade mal ein wenig an der Oberfläche dieser quirligen und kreativen Metropole gekratzt haben.

Der fehlende Druck noch irgendetwas unbedingt sehen zu wollen, erlaubt es aber, uns an den Tagen rund um den Marathon einfach durch unsere Lieblingsviertel treiben zu lassen. Während uns der Freitagabend ins El Born mit seinen kleinen Boutiquen und hippen Bars führt sind am Samstagvormittag die großen spanischen Textilhandelsketten an der Avinguda Portal de l’Àngel und die touristisch gefüllten Gassen des Barri Gòtic dran. Wer wie ich, der Personalunion aus Göttergattin und Superfan immer wieder Verständnis für sein extrem zeitaufwändiges und bisweilen sonderbares Hobby abverlangt, muss im Gegenzug natürlich auch einen solchen Shopping-Ultramarathon als eifrig nickender Tütenträger mit einem gönnerhaften Lächeln begleiten.

Dazu ein Tipp, so von Läufer zu Läufer, die Kompressionsstrümpfe machen bei wirklich allen langen Läufen sinn, besonders bei denen im Shoppingtempo. Sollte die Gattin dann irgendwann wider Erwarten doch genug Schnäppchen gesammelt haben und nach Stärkung in Form von „Chocolate y Churros“ verlangen, darf man sich die Erleichterung darüber natürlich nicht anmerken lassen, sollte aber zügig nach einem netten Café für die wohlverdiente Stärkung aus Brandteig und flüssiger Schokolade suchen. Nach so einem Tag in überfüllten Damenoberbekleidungsläden kommt einem die Herausforderung, die da am nächsten Tag lauert, geradezu läppisch vor.


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Dennoch lässt einen die Aussicht auf den 42-Kilometer-Dauerlauf Abstand von einer allzu ausschweifenden Abendgestaltung nehmen und auch das aufziehende Gewitter lockt uns bereits am frühen Abend in die Metro Richtung Appartment. Apropos Metro, auch wenn Läufer bekanntlich gut zu Fuß sind, empfiehlt es sich doch, einige Strecken, gerade zu den etwas abseits liegenden Gegenden, wie dem Parc Güell oder dem Monjuïc, im Untergrund zurückzulegen. Für unsere durchschnittlich dreieinhalb Tage dauernden Aufenthalte hat uns bisher immer eine Zehnerkarte (10,30€) gereicht. Für Vielfahrer gibt es aber auch günstige Mehrtageskarten für 1–5 Tage (7,60–30,50€).

Als wir unser Appartment erreichen und die einkaufsmüden Beine für ein Nickerchen hochlegen bricht auch schon tosend das Gewitter über uns los und begießt zwei Stunden lang unablässig die Straßen und Plätze der Stadt. Gutes Timing! Einen erholsamen Kurzschlaf später lässt zwar der Regen nach, aber die Motivation, nochmal aufzubrechen, um nach einem Restaurant zu suchen, ist uns irgendwo zwischen den Regentropfen, die an unser Fenster klopfen und den gemütlichen Kopfkissen abhanden gekommen. Also finde ich mich kurze Zeit später im Biomarkt direkt unter unserem Appartment beim Erwerb von diversen Käsesorten (Machego, Tetilla und andere), etwas Aufschnitt (Jamón Ibérico und Chorizo), Rotwein und Olivenbrot wieder. Tapas-Picknick im Bett, herrlich! Das Gläschen Rotwein verleiht dem gesättigten Körper dann auch die nötige Bettschwere und so geht es frühzeitig in die erholsame Nacht vor dem Marathon.


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Um 6:36 Uhr rumpelt das Mobiltelefon auf dem Nachttisch und ich schleiche mich vorsichtig aus dem Schlafzimmer, um den selig schlummernden Superfan nicht zu wecken. Brustgurt, Pulsuhr, Heftpflaster, Vaseline, Championchip, Startnummer, Sicherheitsnadeln – läuferische Morgenroutine. Mit zwei schlabberigen Schokobrötchen und einer Flasche Wasser als Wegzehrung geht es raus in den kalten Morgen und über die Mistral in Richtung Startbereich. Am Plaça d’Espanya herrscht noch die gespentische Ruhe vor dem Sturm und die ersten Sonnenstrahlen kämpfen sich am wolkenlosen Himmel die vierspurige Parallel hinauf. Der Platz vor den Messehallen füllt sich aber schon bald rasant, immer mehr Läufer strömen aus den Zugängen der U-Bahn und den umliegenden Seitenstraßen auf den riesigen Kreisverkehr.

Als sich die ersten Schlangen vor der Kleiderablage bilden, entere auch ich die Messehallen, lege das kurze Lauftextil an und den Beutel mit Habseligkeiten ab. Dort wo am Vortag noch die Sportmesse stattfand, hüpft nun die bunte Läuferschaar umher und traut sich noch nicht so recht in den kühlen Morgen hinaus. Ich ziehe den Platz an der Sonne dann aber doch recht bald der stickigen Messehalle vor und laufe mich in geschichtsträchtiger Umgebung zwischen dem Weltausstellungs-Pavillion von Mies van der Rohe und dem Springbrunnen vor dem Nationalpalast ein wenig warm. Noch etwas die verkürzte Läufermuskulatur aufdehnen und ab geht es in den grauen Startblock gemeinsam mit denen, die knapp unter vier Stunden laufen können und denen, die es so wie ich gerne würden. All jenen, die jetzt im Stillen denken „Boah, schon wieder Einer, der sich im falschen Startblock einreiht“, sei gesagt, dass ich auf den ersten 25 bis 30 Kilometern keinerlei Hindernis für meine Umgebung darstelle, da ich exakt ihr Tempo mitlaufe und danach ist immer genügend Platz, um sich nicht in die Quere zu kommen.

Obwohl ich heute bereits zu meinem dreizehnten Marathon aufbreche, macht sich im Startblock doch wieder dieses seltsame Kribbeln im Bauch bemerkbar. Die Aufregung steigt und als um Punkt 8:30 der erste Startblock im Konfettiregen zu den Klängen des bereits oben erwähnten Songs gestartet wird, habe ich am ganzen Körper Gänsehaut und das nicht nur aufgrund der Temperaturen. Marathon ist pure Emotion! Jedem Startblock ist das gleiche pompöse Startritual vergönnt und die Konfettikanonen versprühen riesige Mengen Papierschnipsel in der jeweiligen Farbe über den Köpfen der Läufer. Gelb, Rot, Blau, Grün und dann sind endlich wir, die grauen Panther, dran. Nachdem Freddy und Montserrat zum vierten Mal „Barcelona“ intoniert haben, laufe ich mit Survivors’ „Eye Of The Tiger“ in den Ohren durch den Startbogen. Los geht’s!


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Gleich hinter dem Plaça d’Espanya laufen wir auf dem breiten Carrer de Sants die ersten zwei Kilometer konstant leicht bergauf und die Strecke führt uns in den westlichen Teil der Stadt. Meine Beine fühlen sich gut und das Tempo im 5:30er Schnitt richtig an. Am Streckenrand ist noch nichts los, wie so oft auf den ersten Kilometern eines Marathons, was ich aber als sehr angenehm empfinde, um erstmal in Ruhe den eigenen Rhythmus zu finden. Rechts, links, links, rechts geht es quer durch das Viertel Les Corts, bevor wir bei Kilometer Sechs den größten Sakralbau Barcelonas erreichen, nein nicht die Sagrada Família, die ist erst zehn Kilometer später dran. Wir passieren das fast 100.000 Zuschauer fassende Stadion Camp Nou, den heiligen Rasen des FC Barcelona und Wirkungsstätte der Fußballgötter Neymar, Messi, Xavi, Iniesta oder dem „Beisser“ Suárez. Einige Läufer im Barca Trikot verneigen sich ehrfürchtig und dann ist auch schon der höchste Punkt des Marathons und die erste Trommelgruppe erreicht.

Zwei Kilometer geht es nun über die sich diagonal durch die gesamte Stadt ziehende und sinnigerweise schlicht Avinguda Diagonal genannte Hauptverkehrsader, bevor wir mit leichtem Gefälle zurück in Richtung Plaça d’Espanya laufen. Das Ziel schon vor Augen, biegen wir in greibarer Nähe dann doch nach links in die Gran Via, die uns die ersten größeren Zuschauergruppen und mir einen Drink bei Kilometer 12,5 beschert und dann schnurgerade zum Prachtboulevard Passeig de Gracia führt. Die noble Einkaufsstraße ist ein Spalier aus Menschen, die in ohrenbetäubender Lautstärke ¡Vamos! ¡Vinga! oder ¡Ánimo! brüllen. Gänsehaut, schon wieder! Mit Sonne im Herzen und im Rücken geht es zu Kilometer 15, meinem zweiten Drink und … huch … Überraschung! An der Metrostation Verdaguer höre ich lautstark meinen Namen vom Straßenrand und freue mich riesig meinen größten Fan zu erblicken. Das hat ein Küsschen verdient, vorsichtig gehts quer durchs Läuferfeld, so viel Zeit muss sein. Noch hunderte Meter später höre ich die mir wohlbekannte Stimme. Hach, schön!

Immer mehr Menschen drängen sich an der Strecke und der Abstand zwischen Rockbands, Trommelgruppen und ganzen Orchestren wird immer kürzer. Hieß es im Vorfeld nicht in Barcelona sei kaum etwas los an der Strecke? Da die Zuschauermenge an der Sagrada Família bei Kilometer 16  komplett tobt und durchdreht, kann ich das in keiner Weise bestätigen. Inzwischen sind wir im östlichen Teil Barcelonas angekommen und ein Teilstück, vor dem ich im Vorfeld durchaus Respekt hatte, erwartet uns – das endlos lange Pendelstück auf der Avinguda Meridiana. Drei Kilometer in den hohen Norden der Stadt und dann auf der Gegenfahrbahn wieder drei Kilometer zurück in südlicher Richtung. Mein Tempo bisher lag bei einem konstanten 5:40er Schnitt, so dass ich die Halbmarathonmarke, die uns schon auf der anderen Straßenseite erwartet, durchaus mit einer Zeit unter zwei Stunden passieren könnte. An der Kehre bei Kilometer 20 geht es auf etwa 100 Metern knackig bergauf und ich spüre zum allerersten Mal eine leichte Müdigkeit in den Beinen. Tja, der Marathon von Sevilla ist erst drei Wochen her und auch die Bestzeit vom letzten Sonntag beim Knäckebrotlauf in Celle hat Spuren hinterlassen, also bloß nicht von den Beinen beirren lassen und flüssig weiter traben (Fotos unten: © Marató de Barcelona).


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In der Tat passiere ich die piepsenden Gummimatten am Halbmarathonbogen bei exakt 1:59:00 und bin beruhigt aufgrund der Massen, die da auf der anderen Straßenseite noch hinter mir unterwegs sind. So eine Pendelstrecke hat durchaus auch Vorteile. Zudem geht es zwischen den Kilometern 20 und 25 auch wieder leicht bergab und die Getränkepunkte im Abstand von jeweils 2,5 Kilometern sorgen für ausreichend Erfrischung. An der Rambla de Prim wartet die großartigste Gattin aller Zeiten ein weiteres Mal und nennt mich ihren „Held“. Ernst gemeint oder ironisch? Egal, ich fühle mich hoch motiviert! Nur die Beine lassen mich immer mehr die neun Wettkämpfe aus diesem noch jungen Jahr spüren und so kommt es, dass ich auf der zweiten Pendelstrecke, am anderen Ende der Avinguda Diagonal ganz am östlichen Rand der Stadt die ersten Schritte gehen muss. Per se absolut nicht schlimm eine kurze Pause einzulegen, nur habe ich das Gefühl, das ich immer, sobald ich die ersten Schritte gegangen bin, nicht mehr richtig in Tritt komme.

Die Stimmung auf der Diagonal ist gut und auf der anderen Straßenseite strahlt schon der Torbogen an der 30-Kilometer-Marke in der Sonne. Zwei Drittel der Strecke sind geschafft, aber das Tempo ist erstmal raus. Ich sehe mich schon nach über fünf Stunden ins Ziel trotten, als sie mich plötzlich mit einem „Guten Tag“ von links anspricht, Mary, Läuferin aus New York, Mitglied bei den North Brooklyn Runners und den Marathon Maniacs. Marys deutscher Wortschatz begrenzt sich auf das bereits verwendete „Guten Tag“ und diverse Schimpfwörter, die sie von „lustigen“ deutschen Freunden gelernt hat. Aus diesem Grund unterhalten wir uns dann doch lieber auf Englisch und ich erfahre, dass sie in Barcelona mit einer Gruppe von Lauffreunden unterwegs ist, welche aber bestimmt schon lange im Ziel sind und dass sie selbst heute nur deshalb so langsam unterwegs ist, weil sie sich den Oberschenkel gezerrt hat und der Barcelona Marathon auch nur ein kleiner Trainigslauf für einen 105-Kilometer-Ultra in zwei Wochen ist. Als ich dann auch ein wenig zu jammern beginne und beiläufig die Marathons in Valencia und Sevilla erwähne, zählt sie ihre Wettkämpfe und Distanzen der Wintersaison auf und lässt mich recht schnell wieder verstummen. Überhaupt hat man bei Mary nicht besonders oft die Möglichkeit etwas zu erwidern, zu unablässig plappert es drauflos das Mädel aus Brooklyn.


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Das schöne an diesem Monolog mit sporadisch platzierten Einwürfen meinerseits ist aber, dass man abgelenkt ist und gar nicht mitbekommt, dass man bereits am Fòrum angekommen ist und ganz nebenbei Kilometer 31 erreicht hat. Ich beschreibe Mary kurz, was noch vor uns liegt, da die Strecke ab hier dem Verlauf des mir vertrauten Halbmarathons sehr ähnelt. Wir laufen in moderatem Tempo mit einigen kurzen Gehpausen über die Avinguda de Litoral und geniessen dabei den Blick auf Strand und Mittelmeer. Am Port Olímpic geht es zurück in die Stadt und wir erreichen nach einem kurzen Getränkestopp bei Kilometer 35 den Arc de Triomf. Mehr oder weniger triumphal traben wir durch den Steinbogen und das Gespräch dreht sich nun um New York als Ganzes und den Marathon im Besonderen. Mary ist regelmäßig als „Volunteer“ in Brooklyn dabei und könnte mir durchaus das Wasser reichen, wenn ich mal im „Big Apple“ an den Start gehe. Hiermit abgemacht! Amerikanerin halt, wie fast alle ihrer Landsleute immer so schön unverbindlich verbindlich.

Am Plaça Catalunya halte ich sehnsüchtig Ausschau nach meiner mir Angetrauten, kann sie aber im Gewusel nicht entdecken. Naja, warscheinlich hat sie sich etwas vom einzigen fest verabredeten Treffpunkt entfernt, damit sie nicht in Menschenmenge untergeht. Augen links, Augen rechts … Nichts! Hm, sollte ich sie eventuell übersehen und wir uns in der Tat verpasst haben? Vielleicht ist sie ja hier an dem Schauplatz des gestrigen Shopping-Ultras? Nein im kompletten Barri Gòtic, das wir gerade passieren keine Spur von ihr. Schade! Als wir die Altstadt am Hafen verlassen haben wir bereits Kilometer 39 erreicht, nur noch drei läppische Kilometer liegen vor uns und auch das Tempo war auf den letzten fünf Kilometern wieder etwas zügiger. Kurz blitzt die Hoffnung auf, heute eventuell die zweitbeste Marathonzeit hinzulegen, wird aber ganz schnell wieder zerstreut, als wir am Kolumbus-Denkmal dem Mirador de Colom nach rechts in die lange Gerade der Avinguda del Parallel biegen.

Die letzten zwei Kilometer des Marathons gehen doch tatsächlich komplett bergauf. Nicht kurz und knackig, nein, eher ganz seicht und stetig. Schier endlos schiebt sich das bunte Läuferfeld den sanften Hügel hinauf, das Ziel am Ende der langen Gerade immer im Blick. Puh, hier ist mentale Stärke gefragt aber irgendwie schaffen es Mary und ich tatsächlich, im Schneckentempo oben am Plaça d’Espanya anzukommen, jetzt nur noch eine Linkskurve und die letzten 200 Meter für die Fotografen im Leichtfüßigkeit simulierenden Laufschritt absolvieren. Yeah, geschafft! Mary und ich fallen uns in die Arme und gratulieren uns gegenseitig zu der vollbrachten Leistung. Wasser und Isodrinks werden wie übrigens überall an der Strecke in Flaschenform gereicht und auch die obligatorischen Plastiktüten gegen das Auskühlen des gemeinen Laufkörpers werden verteilt. Ich lehne den Plastiksack wie immer dankend ab und denke mir, dass man in Sachen Ökologie bei diesen Großevents durchaus noch nachbessern könnte. Insgesamt überwiegt in dem Moment aber ganz klar die Freude über das Geleistete, während die Sonne und ich um die Wette strahlen.


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Puh, wenn ihr den ausschweifenden Beschreibungen wirklich bis zu dieser Stelle gefolgt seid, dann gebührt euch aber auch Respekt für diesen Lesemarathon und um diesen Blogpost nicht zu sehr ausarten zu lassen, fasse ich mich jetzt etwas kürzer. Der Rest des Sonntags besteht nach einer ausgedehnten Dusche im Wesentlichen aus dem Schlendern über die Strandpromenade, dem Auffüllen der Kohlenhydratspeicher mit möglichst ungesunden aber wohlschmeckenden Speisen und der einen oder anderen Belohnungs-Cerveza. Abermals erkennt man überall in der Stadt die Leidensgenossen am humpelnden Gang oder an den Schwierigkeiten nach einer längeren Sitzpause wieder aufzustehen. Man nickt sich anerkennend zu, ist aber insgeheim beruhigt, nicht als einziger Verrückter in der Stadt unterwegs zu sein.

Medaillen und Eventshirts werden auf stolz geschwellten Brustkörben durch die Gassen getragen, wohingegen ich mit hanseatischem Understatement lediglich das Band der Medaille ganz dezent ein kleines Stück aus der Tasche hängen lasse. Kenner wissen dann schon bescheid. Ein wenig Posing gehört halt doch dazu und Anerkennung kann die geschundene Läuferseele eigentlich fast immer gebrauchen. Die Frage, warum wir uns bei Kilometer 37,5 nicht gesehen haben, obwohl wir beide zur rechten Zeit am rechten Ort waren, können wir leider nicht abschließend klären. Stattdessen kehren wir in einem unserer Lieblingscafés dem unglamourösen aber liebenswerten „Schilling“ in der Carrer de Ferran ein und feiern unsere Erfolge beim Barcelona-Marathon und dem Shopping-Ultra üppig mit Speis und Trank. Hoch die Tassen! Die Schnäppchen sind eingesackt und Marathon Nummer Dreizehn ist ebenfalls vollbracht!


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(„mai es prou“ ist katalan und bedeutet, passend für alle Laufverrückten „nie genug!“)

 


Auch wenn dieser Artikel recht lang geraten ist, wird er nicht ansatzweise der Schönheit Barcelonas und der grandiosen Stimmung des Marathons gerecht. Wenn Fragen offen sind, scheut euch nicht sie zu fragen aber am besten probiert ihr den Marató de Barcelona oder seinen kleinen Bruder den Mitja Marató einfach mal selbst aus.

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Beitragsbild © iStockphoto/AndreyDanilovich

*Alexander Spoerl aus den „Memoiren eines mittelmäßigen Schülers“

Von rundreas

14 Gedanke zu “Barcelona”
  1. Wie immer ein sehr schöner Beitrag mit Schmunzel-Garantie. Unglaublich, wie detailliert Du den Marathon beschreibst und das Gefühl an die Leser weitergeben kannst. Würde mich am liebsten gleich für 2016 anmelden… Aber ich bereite mich gerade auf meinen 1 Marathon in Rostock- und den 2. in Berlin vor und danach denke ich evtl. über den in Barcelona nach 😉

    Weiterhin viele Erfolg und Lust am Schreiben.
    Mathias

    1. Danke Mathias,
      es freut mich wirklich sehr, wenn ich einen Eindruck der Läufe und Städte vermitteln kann und eventuell sogar jemanden wie dich motivieren kann, in Barcelona oder irgendwo sonst an den Start zu gehen. Wenn du Rostock und Berlin geschafft hast, wirst du eh nach weiteren Highlights suchen und da ist Barcelona eine wirklich gute Option. Auch und gerade für dich als Hobbyfotograf hat die Stadt so unendlich viel zu bieten!

      Jetzt aber erstmal alles Gute für deinen „Ersten“ in Rostock!!!

      Andreas

  2. Super Beitrag. Ich möchte nächstes Jahr auch den Marato de Barcelona laufen und nach dem Artikel brennen mir echt die Füße. Ich war dieses Jahr auch vor Ort um schon mal Marathonluft zu schnuppern und den wesentlich entspannteren Breakfastrun zu laufen.

    1. Hey José, unbedingt!
      Der Marathon ist wirklich toll und die Vorzüge der Stadt kennst du ja bereits. Mit dem BreakfastRun hast du mir echt etwas voraus, denn den habe ich zeitlich leider nicht mehr vorm Shopping-Ultra einbauen können. Da dürftet ihr aber auch ein wenig nass geworden sein, oder?

      Viel Spaß auf deinem Weg zum Marató de Barcelona 2016! Andreas

      1. Hallo Andreas,
        vielen Dank.
        Wir sind richtig nass geworden, aber einem richtigen Läufer nimmt das nicht den Spaß. Der Shopping-Trip wurde mir dieses Jahr größtenteils erspart und fand eigentlich nur auf der Expo Sports statt.
        Viele Grüße
        José

  3. So viele Marathons wie du läufst – Wahnsinn.
    Hat natürlich was – du musst nicht Wirklich eine Vorbereitung machen, denn du bist ja immer in der Vorbereitung. 😀

    Schöner Bericht mal wieder, mein Bester. Spendierst du uns nächstes Mal noch ein paar Absätze? Das erleichtert das Lesen ungemein. 😉

    1. Abermals danke Martin und der Trick mit der Vorbereitung funktioniert auf meinem niedrigen Niveau in der Tat. So habe ich schon zwei sehr lange Läufe für den Hamburg Marathon in der Tasche! 😉

      Die Absätze finde ich für das Lesen am Laptop eigentlich ok, aber für Mobilgeräte könnte ich in der Tat noch einige mehr einfügen. Danke, genau solche Tipps kann ich als Blog-Rookie immer gut gebrauchen!

      Grüße aus dem Mausgrau. Andreas

        1. Na immer da wo Fotos sind … 😉

          Ich hab jetzt mal etwas nachgebessert und werde auch die bisherigen Artikel nochmal darufhin untersuchen. Vielen Dank für den konstruktiven Verbesserungsvorschlag!

  4. Danke für die Glückwünsche, die ich natürlich gern zurückgebe! Zeiten sind ja zum Glück nicht alles…
    Es war definitiv auch nicht unser letzter Besuch in Barcelona. Wann auch immer es sein wird, ich freue mich schon darauf. Aber vorher gibt es ja auch noch „einige“ andere Ziele… 😉

    Heute mit verregneten Grüßen zurück nach HH, wo ich meinen allerersten Marathon gelaufen bin!
    Heiko

    1. Oh ja,
      die Liste der Läufe, die ich noch gerne laufen würde ist schier unendlich und deshalb werden wir Barcelona jetzt wohl auch mal für ein, zwei Jahre auslassen.

      Ebenfalls Nieselregengrüße gen Osten und evtl. sieht man sich ja in an den fünf Seen.

      Andreas

    1. Super Heiko und Glückwunsch zur neuen Bestzeit!
      Bis auf das Tempo und die Zielzeit, klingen unsere Erfahrungen ja fast deckungsgleich.
      Bei meinem Zieleinlauf sah das Obstbuffet dann aber schon etwas zerrupfter aus … 😉

      Grüße von Hamburg nach Neuruppin. Andreas

Kommentare sind geschlossen.