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Krokusblüten und Knäckebrot im Schlosspark


Manchmal muss man seine Erwartungen nur niedrig genug ansetzen, um sie dann glorreich übertreffen zu können. Da mir aber der Wettkampf am vorherigen Wochenende, ein paar Tage nach dem Sevilla-Marathon bereits eindrucksvoll bewiesen hat, dass von meinen Beinen aktuell nicht besonders viel zu erwarten ist, bin ich an diesem Sonntag gänzlich ohne Ambitionen in Sachen Zielzeit unterwegs und auch beim Austragungsort des heutigen Volkslaufs, habe ich mir vorab kein Bild davon gemacht, was mich erwarten könnte. Doch unverhofft kommt oft und das was an diesem Tag folgt, hätte auch meine kühnsten Erwartungen übertroffen.

Die ungewöhnlich späte Startzeit des heutigen Laufs am frühen Sonntagnachmittag erlaubt uns eines der seltenen, gemeinsamen Familienfrühstücke und meine drei Superfans überlegen, ob sie mich in den Süden der Lüneburger Heide begleiten sollen. Die Aussicht auf insgesamt drei Stunden Fahrt im Familientransporter lässt sie dann aber doch zurückschrecken und die Option des Spielens im heimischen Garten vorziehen. So kommt es, dass ich doch mal wieder als Einzelkämpfer in die niedersächsische Provinz aufbreche (schnüff). Die heutige Wettkampfstätte liegt zwar an dem gleichen Fluß, der auch meinen Geburtsort Verden passiert, trotzdem hat es mich in meiner Jugend und auch später nicht in die nur 80 Kilometer entfernte Residenzstadt Celle verschlagen.

Ein echter Fehler, wie ich heute feststellen werde. Ein erstes „Huch“ entfleucht mir, als ich auf den riesigen Schützenplatz an der Hafenstraße rolle und ein endloses Meer von Automobilen erblicke. „Na hier ist ja ganz schön was los“ denke ich, während ich in Richtung Startnummernausgabe schlendere. Die einzige Erwartung, die ich an die heutige Laufreise habe, ist die vorhergesagte frühlingshafte Temperatur und ein damit verbundener lockerer 20km-Trainingslauf bei sonnigem Wetter. Als ich nach einem kurzen Fußmarsch an dem von unzähligen violetten Krokussen umschmeichelten Renaissanceschloss ankomme, scheint sich dieser Wunsch bereits zu erfüllen. Die Sonne strahlt in ihrer ganzen Pracht vom wolkenlosen Himmel und die Temperaturen liegen bei angenehmen 16 Grad.

Auf der Wiese im Schlosspark erwartet mich eine mit reichlich Luftballons und Beachflags dekorierte und offensichtlich für jede Witterung geplante Outdoor-Eventfläche samt Sportartikelmesse, Umkleidebussen und Startnummernausgabe, die ich in dieser Form bei kleineren Stadtläufen bisher noch nicht gesehen habe. Meine Nummer ist in Windeseile abgeholt und als kleines Dankeschön vom Sponsor, einem Lebensmittelkonzern auf Nudelbasis, gibt es noch einen Packen Sesam-Knäckebrot seiner schwedischen Submarke „Wasa“. Der Namensgeber des heutigen Laufes ist nicht nur tief verwurzelt in der wirtschaftlichen Infrastruktur der Stadt, nein auch optisch ist er heute in den Straßen der Stadt omnipräsent.


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Scheinbar komplett anwesend ist bei dem Volksfest zum Volkslauf zwischen Wurstbude und Jazz-Combo auch die gut 60.000 Seelen umfassende Bevölkerung Celles, zuzüglich der knapp 9.000 Verrückten in Funktionsfaser, die bei den unterschiedlichen Wettbewerben des Wasa-Laufes über den Tag verteilt an den Start gehen. Schon seit 9:00 Uhr werden die Wandergruppen, die Kinderläufe, die Spaziergänge am Stock, der Kurzstreckenlauf über fünf und die Mitteldistanz über zehn Kilometer gestartet. Das riesige Feld der „Zehner“ ist auf dem Weg zum Schloss bereits an mir vorbeigerauscht und so ist es auch für mich an der Zeit, kurze Hose und T-Shirt anzulegen und mich langsam in Richtung Start zu begeben. Die Hauptläufe über 15 und 20 Kilometer werden gemeinsam um 13:15 Uhr gestartet und die Zeitnahme ist in diesem Jahr erstmalig eine Nettozeitmessung mit einem in die Startnummer integrierten Chip.

Auf dem Platz am alten Rathaus, wo sich immer mehr Läufer in der Sonne sammeln, suche ich mir, meinen Ambitionen entsprechend, einen Platz im hinteren Drittel und betrachte die Aufschriften des mich umgebenden Lauftextils. Diverse Laufgruppen vom anderen Ende der Luftbrücke hat es aus der Hauptstadt hierher verschlagen, einige Hamburger sind leicht am St.Pauli-Outfit zu erkennen und aus naheliegenden Gründen sieht man viele Starter aus Hannover, Braunschweig und Wolfsburg. Die lokalen Sportvereine haben ihre Favoriten entsendet, der Sponsor hat ein großes Feld an Mitarbeitern mobilisert, und die textilen Trophäen von Marathons aus aller Welt werden nicht ohne Stolz vorgeführt. Nach einem lautstark von den Läufern vorgetragenen Countdown und einem ohrenbetäubenden Kanonenschuss geht es auf die erste Runde durch die von pittoresken Fachwerkhäusern gesäumte Altstadt. Die Cafés und Eisdielen sind dank des Frühlingswetters gut gefüllt und so wird man immer wieder bejubelt und angefeuert und erntet nur ganz selten genervte Blicke von Ureinwohnern, die an der jeweiligen Stelle eigentlich gerne die Straße überqueren würden.

Sämtliche Distanzen beim Wasa-Lauf werden auf einer exakt fünf Kilometer langen Rundstrecke gelaufen, folglich sind für mich heute vier davon fällig und ich nutze die erste, um zunächst mein Tempo zu finden. Im Gegensatz zur Vorwoche fühlen sich die Beine heute gut an und das schöne Wetter macht Lust, etwas schneller zu laufen. Ich mache auf dem Kopfsteinpflaster der Altstadt trotz der gut gefüllten Strecke die ersten Plätze gut und finde mein Wohlfühltempo bei einem Schnitt von ca. 5:10 pro Kilometer. So gleite ich erstaunlich leichtfüßig dahin, raus aus der Altstadt, durch den Schloßpark, vorbei am Spielplatz mit den ausgestreckten Kinderhänden, dann eine leichte Steigung hinauf zum Französichen Garten und über die schattenlose Maulbeerallee in Richtung des neuen Rathauses.


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Ich fühle mich gut und empfinde das Tempo als überaus angenehm, rechne aber aufgrund der in diesem Jahr bereits absolvierten Wettkämpfe (inklusive des Sevilla-Marathons vor zwei Wochen acht an der Zahl) damit, spätestens auf der letzten Runde einzubrechen. Die Gedanken verfliegen aber schnell, als wir bei den fleißig puschelnden Cheerleaders wieder in Richtung Altstadt abbiegen und der erste Getränkepunkt mit Wasser und Isodrink lockt. Für den Moment lasse ich selbigen rechts liegen, nehme mir aber vor, in Runde Zwei und Vier jeweils nach einem Becher Wasser zu greifen und mir in Runde Drei einen Isodrink zu gönnen – und genauso wird es auch geschehen.

Die Einkaufsstraßen, die wir nun im Zick-Zack auf- und ablaufen sind gut gefüllt mit Läufern und Zuschauern, die uns weiterhin fleißig anfeuern. Der Kilometer Vier am „Großen Plan“ bietet eine weitere Wasserversorgung, einen knallroten Torbogen als Markierung und einen ambitionierten Sprecher am Mikrophon, bevor zwei Kurven später die erste Runde unter großem Jubel beendet ist. Runde Zwei sieht bis auf die Tatsache, dass das Feld zunehmend auseinanderstrebt, eigentlich genauso aus wie die erste und auch ich bleibe meinem Tempo treu, immer noch etwas skeptisch, ob ich das bis zum Ende durchhalten kann.


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Kurz nachdem ich zu Runde Drei aufbreche, überholt mich, begleitet von den Rhythmen der Sambatruppe am Wegesrand, der führende 20km-Läufer. „Wow, ordentliches Tempo“, denke ich und trabe selbst entspannt weiter. Das unebene Kopfsteinpflaster lässt mich nun zunehmend die Wettkämpfe der Saison in den Beinen spüren, aber mein innerer Tempomat hält mich weiterhin bei exakt 5:12 pro Kilometer bevor es zum dritten mal über die Ziellinie geht und sich die Spreu vom Weizen trennt. Gefühlte drei von vier Läufern nehmen die Linksabbiegerspur und sind nach 15 Kilometern im Ziel, während um mich herum nur eine handvoll Hartgesottener zur vierten Runde aufbricht. Auch die Zuschauer widmen sich nun zunehmend ihren Eisbechern und Gerstensaftschorlen und würdigen uns nur noch selten eines Blickes. Das grüne Flatterband der Streckenabsperrung ist an vielen Stellen durchtrennt und weht lustlos über das Pflaster.

Die Kulisse aus malerischen Fachwerkfassaden, die in der immer tiefer stehenden Sonne leuchten, ist aber nach wie vor schön anzuschauen und so laufe ich weiter inbeirrt mein Tempo. Als sich bei Kilometer 18 abzeichnet, dass diese Geschwindigkeit wohl entspannt bis ins Ziel zu halten sein wird, bin ich fast ein wenig enttäuscht, dass die Strecke heute nicht 1.097,5 Meter länger ist. Tja, dann muss ich die seit Jahren überfällige Verbesserung meiner Halbmarathon-Bestzeit wohl woanders in Angriff nehmen. Am Gummibogen bei Kilometer 19 gibt die menschgewordene Motivation immer noch Alles und schickt mich mit freundlichen Worten auf den letzten Kilometer. „Noch einmal links, noch einmal rechts, dann bist du im Ziel“, denke ich, während ich beschleunige und im Endspurt weitere zwei Plätze gut machen kann, bevor ich breit grinsend durch den Zielbogen hüpfe.


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1:44:07, Yeah, Bestzeit über 20km! Und ein sicheres Zeichen, dass auch die undankbaren 1:50:00 beim Halbmarathon zu knacken sind. Darauf erstmal ein alkoholfreies Weizen im weitläufigen Zielbereich. Kein Gedränge, kein Geschubse, genügend Platz, um die müden Knochen zu strecken und die vorbestellte Medaille abzuholen. Mit poliertem Metall um den Hals und Gerstensaft in der Hand schlendere ich über den Platz vor der Stadtkirche und entdecke durch Zufall die ins Pflaster eingelassene Zielmarke des Celler-Wasa-Laufes. Welche Stadt kann schon behaupten, sich so sehr mit ihrem Volkslauf zu identifizieren, dass sie dafür gleich das Pflaster vor der Hauptkirche umdekoriert?

Als ich mit frischer Kleidung vom Parkplatz zurückkehre, sind die Läufer der kürzeren Distanzen schon längst unter der Dusche, oder sitzen mit üppigen Eisbechern vor sich in der Altstadt, während auch die letzten Zwanziger von mir beklatscht über die Ziellinie wanken und die fleißigen Helfer beginnen, die ersten Sperrgitter abzubauen. Einzig das Zelt in dem das Warensortiment des Hauptsponsors vergünstigt feilgeboten wird, ist noch gut gefüllt mit Schnäppchenjägern. Ich selbst schlendere noch ein wenig durch die Gassen der Altstadt und bekomme einen Eindruck davon, wie es hier an Tagen ohne internationalem Volkslauf ausschaut. Die Beschaulichkeit kehrt zurück in das verwunschene Städchen an der Aller und auch mich zieht es nach einem stärkenden Imbiss auf die Landstraße in Richtung Heimat …


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Fazit: Sowohl die Residenzstadt Celle als auch ihr Wasa-Lauf sind auf jeden Fall eine Reise wert!

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Von rundreas

8 Gedanke zu “Frühling”
  1. Glückwunsch zu dieser wunderbaren Zeit und ich halte dir Daumen, dass es mit den unter 1:50h beim HM auch ganz bald klappt. Aber du scheinst ja auf einem sehr guten Weg zu sein. Viel Spaß beim Training und weiter so.

    1. Dankeschön Din!
      Aktuell bin ich eher dabei meine Dummheiten vom letzten Wochenende nicht zur Gefahr für die Teilnahmen am Hamburg Marathon nächstes Wochenende werden zu lassen. Da ist an Bestzeiten im Moment leider so gar nicht zu denken. :-/ Aber wenn es mir besser geht, werde ich die PB, die noch immer vom Müggelsee-HM stammt) endlich mal angehen.

      Trotzdem bin ich damit ja noch immer um Längen von deinem Tempo und deinem Umfängen in Sachen Triathlon entfernt! Ich bewundere deine Leistung und Ausdauer schon des Längeren mit Begeisterung und Erstaunen! Hut ab und weiter so!

      Grüße in die alte Heimat … Andreas

    1. Dankeschön Judith,
      ich bin in der Tat gespannt, ob ich demnächst endlich mal die HM-Bestzeit knacken kann, aber vordergründiges Ziel sind Bestzeiten bei mir ja nicht. Die sind häufig eher Abfallprodukt der vielen Wettkämpfe.
      Deinen Blog lese ich aber ebenfalls sehr gerne, auch wenn du jetzt lange pausiert hast.
      Bin neugierig was da noch kommt und eventuell sieht man sich ja bei den „Roten“ vorm Olympiastadion beim Big25?

      Sonnige Grüße aus Hamburg! Andreas

    1. Danke für die Tipps Anne,
      ich mag ja wirklich jede Form von Lauf und gerade der Kontrast zwischen Großevents wie dem Berlin-Marathon zu kleinen beschaulichen Landschaftsläufen übt einen besonderen Reiz auf mich aus. Ich entdecke auch gerade, dass mich das Thema Trail zunehmend begeistert.
      In Trier war ich zuletzt vor ca. 30 Jahren und somit wird es unbedingt mal wieder Zeit die Porta Nigra zu besuchen und dass mir Runden nichts ausmachen, habe ich ja gerade in Celle bewiesen … 😉

      Grüße gen Süden!

      Andreas

      P.S.: Deine beiden Laufberichte dazu werde ich wohl erst nach Barcelona in Ruhe lesen können.

  2. ‚Ne Medaillie aus Knäckebrot wär ja auch mal ’ne Option – passt zum Sponsor und hält im Prinzip ewig! 😆

    Bei den schönen Bildern krieg ich fast ein bisschen Heimweh. Als ich dort in der Gegend lebte, bin ich noch nicht gelaufen – und jetzt liegt der Termin immer so ungünstig, dass ich es nicht schaffe mal hinzufahren und mitzulaufen. Schade!

    Viele Grüße,
    Anne

    1. Haha super Anne,
      das wäre in der Tat mal eine Idee. Schokomedaillen und Lebkuchenherzen habe ich schon im Fundus aber eine aus Knäcke bisher noch nicht.
      Den Weg von der Mosel solltest du trotzdem auf jeden Fall mal in Angriff nehmen, Lauf und Stadt sind wirklich toll.
      Genauso sollte ich aber auch da unten bei euch noch einige Läufe in meine Liste aufnehmen. Eventuell Tipps parat?

      Grüße aus Hamburg.

      Rundreas

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